Corona und Schule – eine Chronik
Tagebuch einer Lehrerin
Heute vor einem Jahr, am Montag, 16. März 2020, war der letzte „normale Schultag“, danach wurden die Schulen in Berlin geschlossen. Das war ein riesiger Schock. So einen Begriff wie „Schulschließung“ kannte vorher gar nicht. Überhaupt: die Vorstellung, dass der Schulbetrieb aus irgendeinem Grund ausgesetzt wird, konnte ich mir niemals vorstellen.
Als Kind bin ich jeden Tag zur Schule gegangen, ich hatte fast keinen Fehltag. Den Begriff „Schule schwänzen“ habe ich erst spät auf dem Gymnasium kennengelernt und habe auch in schwierigen Zeiten (die Pubertät…) kaum eine Schulstunde verpasst. Meine Eltern gingen morgens zur Arbeit, mein Bruder und ich zur Schule – glasklare Sache, keine Diskussion.
Als Jugendliche habe ich mal bei einer Mitschülerin zu Hause mitbekommen, wie ihre Mutter sagte: „Morgen kannst du zu Hause bleiben, dein Papa hat Geburtstag, wir bereiten die Feier vor.“ Das hat meine Welt ins Wanken gebracht. Jemand bleibt zu Hause, obwohl er nicht krank ist? Unvorstellbar.
Doch nun leben Kinder und Jugendlichen in einer Welt, in der es normal ist, dass die Schule nicht jeden Tag stattfindet. In Berlin ist momentan sogar die Präsenzpflicht ausgesetzt.
Seit dem 16. März 2020 ist in der Schule nichts mehr „normal“. Auch für Personen, die keine Verbindung zu Schule haben, war der Zeitpunkt der Schulschließungen quasi der Start der Pandemie: „Wenn sogar die Schulen schließen, dann muss es ja wirklich ernst sein.“
Wie funktioniert Schule seit einem Jahr?
Im Folgenden habe ich eine Rückschau zusammengestellt, welche Phasen und Änderungen es in diesem Jahr im System Schule gab – beispielhaft an meiner Stadt Berlin, meiner Schule, meinem Einsatz in der Schule und meinem Leben.
Die Zusammenstellung soll auch zeigen, wie sich meine Arbeit als Lehrerin ständig geändert hat und wie ich mich immer wieder umstellen musste. Sie soll zudem zeigen, dass es eine „Sondersituation“ ist, die jetzt ein Jahr anhält. Es gilt also nicht – alles nur für kurze Zeit, alles eine Ausnahme. Ich muss meine privaten Endgeräte für die Arbeit nutzen, meine Internetverbindung, mein Telefon. Ich muss mehr Unterrichtsstunden geben und mehr Aufgaben übernehmen. Alles nur übergangsmäßig, alles nur für kurze Zeit, alles nur, weil es eine Notsituation ist. Aber es ist eben nicht mehr nur kurz, für ein paar Wochen oder Monate. Es geht jetzt genau ein Jahr.
FEBRUAR 2020
Ende Februar gab es erste Gerüchte darüber, dass einzelne Schulen in Berlin schließen, weil Coronafälle aufgetreten seien.
In der ESL (erweiterten Schulleitung) stellten wir erste Überlegungen an, was die Entwicklungen für Auswirkungen auf unsere Schule haben könnten. Aber niemand rechnete wirklich damit, dass das Virus unser Leben ändern würde.
Am 29. Februar wurde die Berliner Reisemesse ITB abgesagt und am 1. März wurde dann die erste Person in Berlin bestätigt, die am „neuartigen Coronavirus“ erkrankt war, ein Mann aus Mitte.
MÄRZ 2020
Anfang März habe ich realisiert, dass eine Pandemie auf uns zu kommt. Ich habe es tatsächlich früh geahnt, weil ich viele Nachrichten in verschiedenen Sprachen konsumiere. Anfang März sagte ein Kollege zu mir: „Nächste Woche Mittwoch Kino steht, oder?“ Ich antwortete: „Du, ich glaube nicht, dass wir da ins Kino gehen können. Ich denke, die werden zu sein. Und die Schule auch.“ Er sah mich komplett ungläubig an und hatte keine Idee über die Dimension der Lage.
Meldung am 2. März: die erste Berliner Schule schließt wegen Corona – eine Lehrkraft hatte sich in Tirol angesteckt.
Am 4. März kaufte ich erste Vorräte und Medikamente wie Erkältungs- und Schmerzmittel.
Am Mittwoch, 11. März schrieb ich einen Brief an die Eltern meiner Klasse mit dem Thema „Aufgaben für eventuelle Coronaferien“. Meine Schulleiterin war empört und verbot mir das Wort „Coronaferien“ zu verwenden. Ich änderte es in „Aufgaben für das Üben zu Hause“. Ich schrieb den Eltern, was die Kinder zu Hause üben können und gab ihnen Codes für die ANTON-App. In der Woche gab ich ihnen alle Materialien mit, die in der Schule lagerten. Einige Kolleg*innen wunderten sich über mein Vorgehen.
11. März 2020: WHO ruft die COVID-19-Pandemie aus.
Am Donnerstag, 12. März war ich im Rathaus beim „Bezirksausschuss des pädagogischen Personals“, bei dem sich Lehrer*innen aus meinem Bezirk monatlich treffen. An dem Tag musste ich sogar das erste Mal die Leitung der Sitzung übernehmen, weil ich eine stellvertretende Vorsitzende bin und alle anderen nicht kommen konnten. Bei diesem Termin war ein Polizeihauptkommissar des Bezirks eingeladen, er sollte uns etwas zur Gewaltprävention an Schulen erzählen, was er auch tat. Am Ende seines Vortrags sagte er dann:
„Ach übrigens, die Polizei Berlin bereitet sich darauf vor, alle Schulen für 10 Wochen zu schließen. Wir räumen Sporthallen für den Notfall frei und bereiten uns auf Plünderungen vor. Wann es genau losgeht, wissen wir nicht. Aber sagen Sie das bitte nicht weiter, das ist jetzt alles inoffiziell.“
In dem riesigen Sitzungssaal war es absolut still und alle Kolleginnen und Kollegen sahen schockiert aus. Ich saß mit offenem Mund da. Der Polizeihauptkommissar sprach weiter über Gewaltprävention an Schulen, da stoppte ihn ein Kollege und sagte: „Entschuldigung, was haben Sie eben gesagt? Schulen werden geschlossen? 10 Wochen? Habe ich das richtig verstanden? Und wir dürfen niemanden informieren?“ Danach waren wahrscheinlich alle gedanklich nur bei dieser Information. Ich schrieb meiner Schulleitung im Vertrauen, was ich eben gehört hatte. Ich ahnte, dass schwierige Zeiten auf sie zukommen würden.
Nach der Sitzung ging ich noch in den Supermarkt und kaufe Nudeln und Konserven, bis der Kofferraum meines Autos voll war.
Am Freitagmorgen des 13. März kam der Brief der SenBJF an Schulleitungen mit der Überschrift: „Schließung der allgemeinbildenden Schulen ab Dienstag, 17.03.2020“
Die Schulleiterin schrieb schnell einen Elternbrief mit der Überschrift „Eilmeldung!!“, welcher eilig kopiert und verteilt wurde. Ich machte ein Foto davon und schickte es der Elternvertreterin meiner Klasse. Um 10:46 Uhr informierte ich sie darüber, dass die Kinder meiner Klasse bitte so schnell wie möglich abgeholt werden sollen. Die Eltern sollten in den Klassenraum kommen und die restlichen Materialien mitnehmen. Für viele Eltern war es bis heute das letzte Mal, dass sie das Schulgebäude betreten haben.
An diesem Tag bekamen wir von der Schulleitung auch die Information, dass ab sofort alle Ausflüge sowie Dienstreisen verboten sind. Wir hatten damals mehrere Fahrten über das „Erasmus plus“ Programm geplant. Eine Abschluss-Klassenfahrt mit meiner Klasse wurde damit auch unmöglich.
Wir sollten uns Aufgaben für drei Wochen überlegen, die die Schüler*innen im Falle einer Schulschließung machen sollten. Aber den Kindern sollten wir noch nichts sagen, um Panik zu vermeiden.
Oh man, wir wussten ja nicht wie schnell und stark Kinder mit der Pandemie konfrontiert sein würden.
Bei Twitter schrieb ich um 9:06 Uhr:
Merkel: „Solidarität zeigen, indem Sie Abstand zueinander halten.“
@SenBJF: „Bis auf weiteres müssen sich Schulleitungen, Lehrkräfte und das pädagogische Personal auf ihren Dienststellen einfinden.“
Soziale Kontakte meiden oder am Montag Arbeit in Schule? #Schulschliessung
Um 9:51 Uhr:
Ich fühle mich wie in dieser Szene bei „#Titanic“, in der die zwei Musiker noch Musik spielen und das Schiff untergeht… #LehrerLeben in #Berlin @RegBerlin @SenBJF
Später würde sich herausstellen, dass ich im Laufe des Pandemiejahres die aktuellen Informationen über den Twitter-Account der SenBJF bekommen würde – vor den Medien, Eltern, Schüler*innen und lange vor den Schulleitungen.
Sonntag, 15. März – Pressenmitteilung: „In Berlin werden ab dem 17. März alle Kitas und allgemeinbildenden Schulen geschlossen.“. Schließung bis zu den Osterferien, also drei Wochen. Wow, das war echt der Hammer, Unglaublich, unfassbar – dass es so etwas gibt.
Am Montag, 16. März gab es dann eine Notfall-Dienstbesprechung in der Aula. Ich weiß gar nicht mehr, worum es ging. Wahrscheinlich darum, wie wir den Kindern Aufgaben geben und wie eine Notbetreuung aussehen wird.
An dem Tag kamen nicht mehr viele Kinder in die Schule, in meiner Klasse waren es drei (von 23). Eine Schülerin hat eine Mutter im systemrelevanten Beruf und ein Schüler hat Eltern, die nicht an Corona glauben – das würde sich dann aber erst später herausstellen.
Am Dienstag sollten alle Lehrer*innen und Erzieher*innen in die Schule kommen, weil – irgendwas, Dienstpflicht. Es kann ja nicht sein, dass wir einfach mal nicht zur Arbeit kommen. Ab Mittwoch war ich zu Hause und saß an meiner Nähmaschine – ich nähte die ersten Stoffmasken.
In der restlichen Woche kamen Kolleg*innen ins Schulgebäude, machten Kopien, gaben Materialien aus und kümmerten sich um Pflanzen in ihren Klassenräumen.
Ich hatte das alles schon erledigt und meine Pflanzen in der Woche davor mit nach Hause genommen. Diese Pflanzen hatte ich dann am Anfang des Schuljahres im August 2020 wieder in die Schule gebracht – mit der naiven Annahme, dass die Pandemie fast vorbei war. Jetzt stehen die Pflanzen wieder bei mir zu Hause. Mal sehen, wann sie endgültig in die Schule ziehen können.
Nach der Schulschließung war ich mit den Eltern meiner Schüler*innen per E-Mail und mit der Elternvertreterin telefonisch in Kontakt. Zum Glück hatte ich eine gepflegte Verteiler-Liste und die Eltern waren an die Kommunikation über E-Mail gewohnt. Ich informierte über Entscheidungen bzgl. des Schulbetriebs und schickte Hinweise zu Übungen. Aber ich ließ die Eltern größtenteils in Ruhe, weil ich davon ausging, dass sich alle an die neue Situation gewöhnen mussten und einige Familien vor schwierigen Entscheidungen standen und Probleme lösen mussten.
Bis zu den Osterferien gab es eine „Notbetreuung“ und dann die sog. „Ferienbetreuung“. Bei uns war es lange Zeit nur eine Schülerin, die betreut werden musste. Für diese Betreuung wurden Lehrer*innen und Erzieher*innen herangezogen, die unter 60 Jahre alt waren und wahrscheinlich nicht zur Risikogruppe gehören – dies war damals noch nicht klar definiert. Ich wurde zweimal in die Notbetreuung eingesetzt. Für ein Kind. Es gab Pläne mit Einsätzen und Vertretungen – für ein Kind.
Damals ließ ich mir eine Bescheinigung ausstellen, dass ich in der Schule arbeite und einen „triftigen Grund“ habe mich draußen aufzuhalten. So etwas wurde in Berlin aber niemals kontrolliert.
APRIL 2020
In den ersten zwei Wochen habe ich das Thema Schule komplett verdrängt und ignoriert, denn es waren Osterferien.
Ganz Deutschland saß zu Hause, das öffentlich Leben stand still.
Für mich war es organisatorisch keine große Umstellung, denn ich bin sowieso gerne zu Hause. Es fühlte sich tatsächlich an, als wären es lange Ferien, nur dass ich nicht verreisen oder ins Kino gehen konnte. Ich habe die Zeit auch genießen können, denn ich konnte endlich Sachen zu Hause machen, für die sonst keine Zeit war, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, dass ich „draußen“ etwas verpasse.
Die Zeit war für mich psychisch belastend, denn ich kam schlecht damit klar, dass ich nicht planen konnte – sowohl beruflich als auch privat. Niemand auf der ganzen Welt wusste, wie es weitergehen würde. Alle Termine für die nächsten Wochen waren gestrichen oder ungewiss. Und die Angst um die Gesundheit meiner Familie, v.a. meiner Oma.
Der größte Schock waren für mich die geschlossenen Grenzen. Ich bin kurz vor dem Mauerfall geboren und ohne Mauer aufgewachsen. Seit vielen Jahren reise ich ohne
Grenzkontrollen frei durch Europa. Ich bin fest davon ausgegangen, dass das für immer so bleiben würde.
Andererseits war ich sehr gespannt, welche Auswirkungen die Situation auf die Menschen auf der ganzen Welt haben würde. Viele Gedanken habe ich mir darüber gemacht, was es für Kinder bedeuten würde.
Nach den Osterferien machten wir Lehrer*innen Termine mit den Eltern aus, damit sie Materialien in der Schule abgeben und abholen konnten.
Ich überlegte, was meine Schüler*innen zu Hause lernen sollen. Die Ideen und Aufgaben zur Übung und Wiederholung waren ausgeschöpft. Jetzt mussten neue Inhalte eingeführt werden – wie sollte das über E-Mails gehen?
Ende April richtete ich Kurse im „Lernraum Berlin“ ein, weil ich den Überblick über die Aufgaben bei so vielen Lerngruppen und Fächern komplett verloren hatte (so wie auch die Eltern). Das Anmelden im Lernraum lief allerdings schleppend.
Videokonferenzen waren damals noch kein Thema.
Ich entschied mich, dass ich den Schülerinnen und Schülern meiner Klasse Einzelgespräche über Skype anbiete. Ein Vater verlangte, dass ich mit seinem Sohn täglich 20 Minuten spreche. Es sei ihm egal, was mit den anderen Kindern ist, sein Kind sei eben wichtig und er setze sich dafür ein. Und überhaupt würden ja andere Schulen in Berlin täglich Videokonferenzen machen.
Ich wusste nicht einmal, ob Skype datenschutzrechtlich in Ordnung war. Ich wusste auch nicht, was meine Kolleg*innen aus der Schule in der Zeit machten. Ich hatte nur Kontakt mit ein paar Lehrer*innnen, mit denen ich auch privat befreundet bin. Es gab keinerlei Austausch darüber, wie wir mit der Situation umgehen.
Während der gesamten Schulschließung gab es keine Sitzung der ESL.
Auch keine Information vom Arbeitgeber SenBJF. Ich habe noch nie eine E-Mail von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie bzgl. Corona oder Schulschließungen erhalten. Alle Informationen bekomme ich von Twitter, aus den Medien, über meine Schulleitung und aus „Briefe an Schule“, wo die Briefe archiviert werden, die das SenBJF an Schulen schickt. Dazu muss man vielleicht wissen, dass wir in Berlin keine dienstlichen E-Mail-Adressen haben. Aber das ist ein Thema für einen anderen Blogeintrag.
Ende April sprachen alle darüber, wann Schulen („endlich“) wieder aufmachen würden und welche Jahrgänge zuerst in die Schule kommen sollten. Den Anfang machten die 10. Klassen, die ab 27. April wieder zum Präsenzunterricht kamen.
MAI 2020
Ab Montag, 4. und dann 11. Mai kamen die ersten Schüler*innen wieder in die Grundschulen: die 6. und dann die 5. Klassen. Da ich in dem Schuljahr auch in einer 5. Klasse unterrichtet habe, musste ich ebenso zurück in die Schule. Das heißt, ich war 7 Wochen nicht in der Schule, darin 2 Wochen Ferien und ein Feiertag, also 27 Schultage. Damals kam das allen sehr viel vor – „Die faulen Lehrer waren schön zu Hause und haben volles Gehalt kassiert.“
Die Sorge um die Bildung und Psyche der Kinder war schon damals groß.
Little did we know…
Ab Dienstag, 12. Mai waren dann auch die Erstklässler dran, auch sie kamen in halben Klassen abwechselnd in die Schule. Damals leitete ich eine 3. Klasse – sie würden noch zwei Wochen warten müssen, bis sie in die Schule kommen durften. Ich unterrichtete die 5. Klasse in Deutsch und musste auf Abruf für die Notbetreuung bereit sein. Mittlerweile gab es mehr als ein Kind in der Notbetreuung.
Die Kinder kamen in halben Klassen und jeden zweiten Tag, freitags abwechselnd. Meine 3. Klasse wurde dann sogar in drei Gruppen geteilt, weil nicht mehr als 10 Kinder in einer Gruppe sein sollten und in meiner Klasse 23 Kinder waren. Die Aufteilung der Kinder nahmen die Klassenleiter vor, wir sollten nach Leistung teilen.
Die Kinder mussten sich nach ganz neuen Regeln richten. Es gab unzählige Tabellen, Aufzählungen, Listen und Vorgaben. Die Unterrichtszeiten waren ganz anders und die Klingel wurde abgestellt. Schüler*innen wurden bei verschiedenen Eingängen abgeholt, mussten im Abstand laufen. Eine „Mund-Nase-Maske“ auf den Gängen war Empfehlung, keine Pflicht. Im Klassenraum saßen alle im Abstand, am Platz wurden die Masken abgenommen. Händewaschen und Desinfektion waren allgegenwärtige Themen. Es gab keinen Sportunterricht, keine Hofpausen, statt Mittagessen in der Mensa gab es Lunchpakete und es durfte nicht gesungen werden.
Die Stimmung in der Schule war sehr ruhig. Das Lernen in kleinen Gruppen war für alle Beteiligten ein Segen. Schwache Schüler*innen bekamen neue Chancen, starke Schüler*innen konnten ihre Ideen beitragen und wie Lehrer*innen hatten die Ruhe, um uns jedem Kind zu widmen. Dadurch, dass die Lerngruppen keinen Kontakt zu anderen Gruppen hatten, gab es keinen Lärm auf den Gängen und keine Gewalt auf dem Schulhof.
Doch einige Kinder, v.a. aus den älteren Klassen, sahen traurig aus. Die Zeit schien sie mitgenommen zu haben. Ich hörte von Gewalt und Alkohol in den Familien. Mütter oder Väter gingen fort. Kinder mussten auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen. Wir machten uns (schon damals) um einige Kinder große Sorgen.
Am 16. Mai schrieb ich in einer E-Mail an die Eltern meiner 3. Klasse, dass unsere Klasse ab 26.05. in die Schule kommen kann und in drei Gruppen eingeteilt wird. Das bedeutete, dass ich jedes Kind nur zweimal bis zu den Sommerferien sehen wurde. Meine 3. Klasse hatte also keine Schule vom 17.03. bis 25.05., das sind über zwei Monate. Ich schrieb:
„Es liegt auf der Hand, dass die Kinder an zwei Schultagen fachlich nicht viel mitnehmen können. Ich freue mich jedoch alle Gesichter nach der plötzlichen Trennung zu sehen. Ich denke, dass es ein wichtiges Zeichen für die Kinder ist: Wir sind alle gesund, wir entwickeln uns weiter, wir lernen und erleben viel Neues.“
Ab Mitte Mai stiegen die Hoffnungen in der Gesellschaft: „Wenn die Schulen jetzt aufmachen, dann ist die Pandemie wohl fast vorbei.“
In der Schule gab es wieder Dienstbesprechungen, u.a. zum Thema Einschulung. Wir trafen uns in der Aula, weil das der größte Raum in der Schule ist. Alle saßen mit Abstand und Stoffmasken da. Das erste Treffen mit Masken war sehr merkwürdig. Die Konrektorin fand das Bild, das wir abgaben, so faszinierend, dass sie ein Foto davon machte. Ich fand das damals unangebracht, denn ich empfand die Lage als angespannt und ernst.
Ende Mai nahm ich an einer Verkostung in der Nachbarschule teil. Wir mussten uns für eine neue Cateringfirma für unsere Schule entscheiden.
Auf unseren Entgeltnachweisen für Mai 2020 fanden wir: „Pausch. Mund-Nasen-Schutz: 16,00 €“. Okay, well, thanks, I guess…?
JUNI 2020
Die Treffen des BpP und BSB (Bezirksausschuss des pädagogischen Personals und Bezirksschulbeirat) fanden wieder regelmäßig im Rathaus statt.
Anfang Juli gab es in der Schule Diskussionen darüber, ob man seinen „Bögertag“ (ein frei wählbarer freier Tag im Sj.) nachholen kann, wenn er während der Schulschließung bzw. an einem unterrichtsfreien Tag war und ob man nicht genommene „Bögertage“ ins nächste Schuljahr mitnehmen kann.
Erst hieß es: nein, kann man nicht. Bei einigen wurde dann GEHEIM geregelt, dass sie es dürfen. Das kam dann raus – großes Drama. Letztendlich durfte ich meinen „Bögertag“ im nächsten Schuljahr nehmen und tat dies Ende Oktober.
Meine 3. Klasse durfte in die Schule kommen und ich habe jeden Schüler und jede Schülerin noch zweimal im Unterricht gesehen. Sie bekamen von mir Urkunden für die Leistungen beim „Lernen zu Hause“.
Ich musste von meiner Klasse Abschied nehmen, die ich drei Jahre zuvor eingeschult hatte. Es war meine aller erste Klasse als Klassenlehrerin. Eine richtige Abschiedsfeier gab es nicht. Aber wir trafen uns an einem Nachmittag im Park (frische Luft) und ich bekam ein aufwendiges Fotobuch und Blumen. Ich schenkte jedem Kind ein Heft mit Steckbriefen und Fotos. Das war sehr aufwendig, aber ich hätte gerne noch mehr gemacht. Diese Kinder werde ich niemals vergessen, meine erste eigene Klasse. Ich hoffe, dass sie gut durch ihr schulisches Leben kommen und glückliche Menschen werden.
Die Stimmung unter den Eltern war ambivalent. Das Thema Schulschließung und Corona hatte die Eltern weiter gespalten, es gab sehr unterschiedliche Meinungen. Ich hatte das Gefühl, dass die Elternschaft mit meiner Arbeit im Allgemeinen zufrieden war, sodass ich mit gutem Gewissen Abschied nehmen konnte. Bei einigen war ich ehrlich gesagt auch froh, dass ich nicht mehr mit ihnen diskutieren muss.
Unsicherheiten gab es beim Schreiben der Zeugnisse. Sollten die Leistungen während der Schulschließung bewertet werden? Die Noten durften jedenfalls nicht schlechter sein als im 1. Halbjahr und Corona durfte mit keinem Wort erwähnt werden. In den Fachkonferenzen wurden eilig Entscheidungen getroffen.
Die Zeugnisse wurden dann an den letzten Tagen des Schuljahres verteilt. Am 24. Juni war der aller letzte Schultag und wir verabschiedeten mehrere Kolleginnen – mit Maske in der Aula.
JULI 2020
Die Sommerferien waren eine Erholung. Die Infektions- und Inzidenzzahlen in Deutschland waren sehr niedrig. Ich verreiste ins europäische Ausland.
Das Reisen war natürlich ein Diskussionsthema, einige sahen Verreisende als „Verräter“ während z.B. Menschen mit Risikofaktoren zu Hause festsaßen. Ich war hin und her gerissen.
Jetzt im März 2021 bin ich froh, dass ich die Erholung im Sommer genossen habe. Ohne diese Auszeit von Schule und Corona würde es mir jetzt wahrscheinlich schlechter gehen.
In der Schule wurde zum Ende der Sommerferien am neuen Plan im Regelbetrieb gearbeitet. Zudem wurde gleich der Plan B erstellt – falls wir wieder Klassen teilen müssten. Der Plan sah vor, dass wir im Wochenwechsel arbeiten, also eine Woche Gruppe A und eine Woche Gruppe B. Dieser Plan wurde später mit Elternvertretern abgesprochen und sie stimmten dem Plan zu.
Spoiler: Im Februar 2021 durften wir diesen Plan für den „Unterricht im Alternativszenario“ nicht aus der Schublade holen, sondern mussten einem ganz anderen Plan (Plan C) folgen.
Seit August kann sich Personal aus Schulen kostenlos und symptomfrei auf Corona testen lassen, das heißt dann „Corona-Screening Bildungseinrichtung“. Ich habe drei Vivantes-Kliniken zur Auswahl und Termine kann ich online machen. Bis jetzt weiß ich nicht, wie viele Tests ich im Monat machen darf, dazu gibt es unterschiedliche Aussagen. Ich mache einfach so viele ich kann, am besten 1x pro Woche.
AUGUST 2020
Im 9. August waren die Sommerferien vorbei (ja, wir haben so früh Sommerferien, DANKE BAYERN!).
In den letzten drei Arbeitstagen vor Ende der Sommerferien müssen wir in der Schule sein, die sog. „Präsenztage“. Normalerweise starten wir mit einem Frühstücksbuffet, das fiel in diesem Jahr aber „coronabedingt“ aus.
Wie würde das neue Schuljahr starten? Gehen wir wirklich in den Regelbetrieb?
Wie sind die neuen Regeln? Müssen Masken getragen werden?
Die Präsenztage verliefen fast wie immer, außer dass wir bei den Fachkonferenzen in engen Klassenräumen mit Masken saßen.
Wir bekamen neue Kolleginnen, deren Gesichter ich nicht sah, weil sie Masken trugen.
Mit meiner Kollegin teilte ich die Lernanfänger*innen in Klassen auf. Dabei hatten wir kaum Informationen zu den Kindern, da durch Corona viele Einschulungsuntersuchung ausgefallen waren. Später würde sich herausstellen, dass einige Kinder noch nicht schulreif waren. Aber wenn ein Kind in der 1. Klasse ist, kann es nicht „sitzenbleiben“ und zurück in den Kindergarten gehen. Es muss mitgezogen werden.
Das Schuljahr begann „ganz normal, in Regelbetrieb“ – alte Unterrichtszeiten, volle Stundentafeln. Alle Kinder kamen und es fühlte sich an, als wäre fast alles wieder normal. Es gab nur keine Angebote für AGs (Arbeitsgemeinschaften). Kolleg*innen mit Risikofaktoren blieben teilweise im Homeoffice und wir rätselten, wie das funktionieren sollte.
Am Samstag, 15. August war die Einschulung der neuen Erstklässler. Ich war dabei, weil ich in diesem Schuljahr eine neue 1. Klasse als Klassenlehrerin bekam. Die Einschulungsfeier war anders als sonst, aber gar nicht so schlecht. Es gab mehrere Termine und die Eltern saßen mit Abstand und Maske in der Aula. Normalerweise traten immer viele Schüler*innen auf, sie tanzten, sangen und sagten Gedichte auf. In diesem Jahr wurden v.a. Instrumente gespielt und einzelne Kinder sagten Gedichte auf, wobei sie für diesen Moment die Masken abnahmen.
Ich führte meine neue Klasse aus der Aula in den Klassenraum und freut mich für die Kinder, dass sie eine offizielle Einschulungsfeier hatten. Dieses Erlebnis wurde ihnen nicht genommen. In der Klasse sahen wir dann zum ersten Mal unsere Gesichter.
Bei der letzten Einschulung kamen die Eltern in den Klassenraum und holten ihre Kinder ab. Sie sahen sich die Räume an und es gab erste Gespräche, ein Kennenlernen. In diesem Jahr durften die Eltern nicht in die Klasse kommen. Überhaupt haben die meisten Eltern meiner Klasse bis heute den Klassenraum ihrer Kinder nicht gesehen. Ich habe deshalb Fotos von dem Klassenzimmer in den „Lernraum Berlin“ gestellt.
Mit der neuen Klasse bin ich gleich mit dem „Lernraum Berlin“ gestartet – das E-Mail-Gewusel vom Frühjahr sollte sich nicht wiederholen. Ich holte auch gleich Einverständniserklärungen ein, falls es zu Videokonferenzen kommen sollte.
Ende August machte ich noch eine private Reise übers Wochenende nach Paris. Als ich am Sonntagabend wiederkam, hieß es: ab Montag ist Frankreich Risikogebiert. Das war knapp. An dem Montag konnte ich dann noch einen kostenlosen Corona-Test am Flughafen Tegel machen.
Jetzt ist dieser Flughafen kein Flughafen mehr (Schließung Nov. 2020) und man kann auch keine Corona-Tests mehr machen. Dafür ist es jetzt ein Impfzentrum, in dem AstraZeneca verimpft wird (wurde). Ob ich als Grundschullehrerin dort irgendwann geimpft werde?
SEPTEMBER 2020
7-Tage-Inzidenz Berlin 12-30
Schule im Regelbetrieb, fast alles wie immer. Die Kinder trugen Masken auf dem Flur, aber sonst nicht. Im Klassenraum konnten die Schüler*innen die Masken abnehmen, Abstandsregeln waren nicht vorgesehen. Auf dem Schulhof traf sich die komplette Schule ohne Masken.
Für das Personal an Schulen gab es eine Maskenempfehlung, aber keine Pflicht. Ich trug meine Stoffmasken überall, nahm sie aber im Unterricht ab, um leichter sprechen zu können. Beim Essen im Lehrer*innenzimmer nahm ich sie auch ab.
Den Kindern durfte ich keine Lebensmittel und Getränke geben, auch nicht wenn sie verpackt waren (Mitbringsel bei Geburtstagen). Kinder durften sich keine Materialien wie Radiergummis oder Anspitzer ausleihen – Schmierinfektionsgefahr.
Ende November kaufte ich mir 100 OP- und 120 FFP2-Masken für insg. 140€. Ab Oktober trug ich nur noch FFP2-Masken in der Schule.
OKTOBER 2020
7-Tage-Inzidenz Berlin 33-164
Im Oktober wurde Berlin von anderen Bundesländern als Risikogebiet eingestuft.
Ich traf mich mit ein paar Kolleg*innen in einem Restaurant und der Austausch tat uns gut. Im Moment (März 2021) ist so ein Treffen undenkbar, Restaurants haben seit über drei Monaten geschlossen.
Die zwei Wochen Erholung in den Herbstferien waren bitter nötig. Die Belastungen durch die Arbeit waren enorm und das im Angesicht der laufenden 2. Welle mit Inzidenzen weit über 100. Der Stresslevel war riesig.
Ende Oktober kam die „Corona-Schul-Ampel“ (offiziell „Corona-Stufenplan der Berliner Schulen“) – grün, gelb, orange und rot. Donnerstags bekamen wir die Einstufung unserer Schule, die dann ab Montag galt.
Unsere Schule war ab 26.10. auf Stufe GELB und ab 24.11. auf Stufe ORANGE (bis zur Schulschließung 16.12.).
Für Grundschulen hieß das:
GRÜN – Regelbetrieb, Maskenempfehlung in Personalgemeinschaftsräumen und Abstand „wo immer es möglich ist“
GELB – Maskenpflicht in Personalgemeinschaftsräumen
ORANGE – kein Rel/LK und AGs, Maskenpflicht für Schüler*innen, wenn gruppenübergreifender Unterricht
ROT – Maskenpflicht für Erwachsene und Kinder, Halbierung der Klassen, Unterricht im Alternativszenario (Wechselmodell), Notbetreuung
Diese Corona-Schul-Ampel bedeutete für mich, dass ich seitenlange Dokumente studieren musste, um die relevanten Informationen herauszuschreiben. Ich habe Tabellen erstellt und eine kleine Ampel gebastelt, um das für die Kinder (und teilweise Kolleg*innen) zu visualisieren. Die Stufen Gelb und Orange bedeuteten in der Schule jedoch so gut wie keinen Unterschied.
NOVEMBER 2020
7-Tage-Inzidenz Berlin 166-207
Normalerweise gibt es im November immer einen „Elternsprechtag“, bei dem Eltern in die Schule kommen und mit Lehrer*innen sprechen können. Das ging in diesem Jahr nicht, also mussten Telefonate geführt werden. Das kostete viel Zeit und Kraft:
18 Gespräche zu 20 Schüler*innen, 17 Mütter und 2 Väter, durchschnittliche Länge: 32,5 Min., insgesamt: 9 Std. 46 Min. Die meisten Gesichter dieser Menschen habe ich bis heute nicht gesehen.
Ende November waren an unserer Schule sechs Klassen gleichzeitig in Quarantäne (von 29 Klassen).
Wie viele Schüler*innen an Corona erkrankt waren, weiß ich nicht. Darüber wurde nicht offen kommuniziert.
Bei einer Inzidenz von über 200 stand ich vor verschiedenen Klassen in voller Stärke und die Kinder hatten alle keine Masken auf. Die Schüler*innen spielten ohne Abstand auf dem Schulhof und aßen zusammen in der Mensa. Geschwisterkinder gingen nicht in Quarantäne.
DEZEMBER 2020
7-Tage-Inzidenz Berlin 194-135
Im Dezember gingen nicht mehr ganze Klassen in Quarantäne, sondern nur Kinder, die in der Nähe des „Corona-Kindes“ im Unterricht saßen (ohne Maske und ohne Abstand). Wir mussten Sitzpläne der Klassenräume und vom Lehrer*innenzimmer abgeben.
Lehrer*innen gingen auch nicht in Quarantäne. Sie wurden getestet und bei einem negativen Test mussten sie zurück in den Unterricht – noch am gleichen Tag.
Bis zu den Weihnachtsferien hatten wir vier Lehrer*innen, die an Corona erkrankt sind. Offiziell haben wir keine Informationen über erkrankte Kolleg*innen bekommen – alles Mundpropaganda.
Allen geht es heute gut und sie arbeiten wieder.
Eine meiner Lerngruppen besteht aus zwei verschiedenen 3. Klassen. Nun war die aller erste Klassenarbeit geplant, aber unerwartet war die eine Klasse in Quarantäne geschickt worden. So schriebe nur die Hälfte der Lerngruppe die Klassenarbeit. Im Januar stand ich dann vor der Entscheidung, ob die andere Hälfte die Klassenarbeit nachscheiben soll – im Schulgebäude oder online.
Den Begriff „Homeschooling“ habe ich nie genutzt, weil ich ihn unpassend fand. Seit der ersten Schulschließung im Frühjahr 2020 habe ich es „Lernen zu Hause“ genannt. Jetzt heißt es offiziell saLzH – schulisch angeleitetes Lernen zu Hause. Das mussten ab Dezember Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern lernen.
Die Gerüchte über eine erneute Schulschließung verdichteten sich. Wie immer machte es jedes Bundesland anders. In Berlin war der letzte Schultag am Dienstag, 15. Dezember – es fielen also drei Schultage aus.
An diesem 15. Dezember, um 13:05 Uhr, beobachtete ich einen Kleintransporter an der Schule und der Lieferant fragte mich nach dem Eingang. Ich wollte wissen, worum es ging – Antwort: Die Tablets werden geliefert. Ja, natürlich, am letzten Tag vor dem Lockdown, als alle Kinder das Schulgebäude verlassen haben.
Perfect timing.
An den folgenden drei Tagen versuchten wir also noch so viele Tablets wie möglich unter die Schüler*innen zu bringen – dabei müsste beachtet werden, dass ein Anspruch besteht und Vereinbarungen zur Ausleihe getroffen werden müssen.
Ansage vom Arbeitgeber SenBJF: Jedes Kind muss mindestens zweimal pro Woche kontaktiert werden.
Zitat: „Alle Schülerinnen und Schüler müssen innerhalb dieser Woche mindestens zweimal direkt von einer Lehrkraft […] kontaktiert und im Lernen zu Hause individuell begleitet werden.“
Ich fragte bei Twitter, ob das auch schon für die letzten drei Tage im Dezember gilt. Antwort der @SenBJF: „Natürlich ist es wünschenswert, wenn die Lehrkräfte zu den Schülerinnen & Schülern auch in dieser Woche Kontakt halten und sie in die Ferien verabschieden. Eine konkrete Anzahl ist nicht festgelegt. Für die Woche nach den Ferien sind min. 2 Kontakte pro Woche kommuniziert worden.“
JANUAR 2021
7-Tage-Inzidenz Berlin 128-84
Erst hieß es, nach den Weihnachtsferien geht es wieder los mit dem Präsenzunterricht, mit halben Klassen im Wechselmodell. Anfang Januar kamen schon aufgeregte Anrufe von Eltern. Sie hatten Bedenken wegen des Infektionsgeschehens und auch wegen der Vereinbarkeit der Schulzeiten mit der Arbeit. Einige wünschten sich, dass der Distanzunterricht weitergeht.
Ich hatte mich mit Wochenplänen und selbst gedrehten Lernvideos gut eingerichtet. Material und Rückmeldungen gingen über den „Lernraum Berlin“, Videokonferenzen erst über WebEx, dann BigBlueButton. Immer wieder war ich mit neunen Plattformen konfrontiert. Mir ist das egal, ich finde mich schnell zurecht. Aber Kolleg*innen, die nicht so geübt mit Technik und Internet sind, hatten sicherlich Probleme damit.
Mit mindestens zwei Videokonferenzen hatte ich meine Pflicht erfüllt, jedes Kind 2x pro Woche zu kontaktieren. Das war mir auch lieber als Telefonate mit Sechsjährigen zu führen.
Ein Blogeintrag dazu hier: Vorteile des Distanzunterrichts für mich als Lehrerin
In vielen Medien wurde über Virusmutationen gesprochen, v.a. über die Mutante aus Groß Britannien B117. Bei einer Videokonferenz sagte eine Erstklässlerin: „Meine Tante aus London ist gerade zu Besuch!“ Great.
Wir Lehrer*innen konnten Schüler*innen in die Schule einberufen, um Klassenarbeiten scheiben zu lassen. Ich habe mich dagegen entschieden. Es war schließlich „Lockdown“, alle sollen zu Hause bleiben. Eine Klassenarbeit in der 3. Klasse finde ich nicht so wichtig, als dass das Leben und die Gesundheit von Menschen riskiert werden muss. Diese Kinder werden noch genug Klassenarbeiten und Tests in ihrem Leben schreiben.
Im Januar hatten wir unsere erste Dienstbesprechung als Videokonferenz über WebEx. Zum Glück hatte das gut funktioniert und seither machen wir unsere wöchentlichen Dienstbesprechungen und bereits eine Gesamtkonferenz über Videokonferenz. Der erste Schritt kostete Überwindung, aber jetzt läuft es. Darüber bin ich sehr froh. Wir sitzen nicht mehr isoliert zu Hause, sondern es gibt einen Austausch – auch für die Kolleg*innen im Homeoffice (Risikogruppen).
Wochenlang wurde diskutiert, wann v.a. die Grundschüler*innen an die Schulen zurückkehren sollen. Für mich als Lehrerin hieß das, dass ich nie wusste, wie meine Arbeit in der nächsten Woche aussehen würde. Planung von Unterricht wird schwierig bis unmöglich, wenn sich alles ständig ändert.
FEBRUAR 2021
7-Tage-Inzidenz Berlin 85-66
Seit 22. Februar gibt es wieder Präsenzunterricht. In den ersten zwei Wochen kamen die Klassen 1 bis 3 im Wechsel: täglich Gruppe A für drei Stunden, dann Gruppe B für drei Stunden. Wieder ganz neue Zeiten und neue Regeln. Meine 1. Klasse kannte die Situation noch nicht, denn sie waren bei der 1. Schulöffnung im Mai 2020 noch keine Schulkinder.
Vor Weihnachten saßen wir mit Inzidenz 236 mit der ganzen Klasse ohne Maske im Klassenraum – jetzt mit Inzidenz 57 ist nur die Hälfte der Klasse da und alle müssen überall Masken tragen. Vorher spielten alle zusammen auf dem Schulhof, jetzt ist dieser in Zonen eingeteilt und jede Klasse hat seine eigene Schulhof-Zeit.
Wie soll ich das Erstklässlern erklären?
Ein Blogeintrag dazu hier: So läuft es momentan in der Schule!
Die Corona-Ampel steht für alle Schulen in Berlin auf ROT und es gilt überall Maskenpflicht. Es gelten wieder Abstandsregeln und alle machen „Unterricht im Alternativszenario“.
Die fehlende Hälfte meiner Lerngruppe in der 3. Klasse schrieb die Klassenarbeit nach und der Notendurchschnitt war am Ende 2,2. Ich bin froh, dass ich die Kinder bei Inzidenzen um 100 nicht wegen einer popeligen Klassenarbeit in die Schule gezwungen habe.
Diese anderen Hälfte der Gruppe wurde jetzt einer anderen Lehrerin zugeteilt, weil die Kohorten nicht so stark gemischt werden sollen. Ich muss enge Absprachen treffen, damit die Kollegin weiß, was gemacht wurde und was sie machen soll. Ob und wann die Gruppen wieder zusammengelegt werden, weiß niemand.
„Na, wenn die Schulen wieder auf sind, dann ist es ja nicht mehr so schlimm mit Corona.“
Ich habe das Gefühl, dass sich die Menschen (in Berlin) seit der Schulöffnung weniger strikt an die Corona-Maßnahmen halten. Auf den Straßen und in den Parks sehe ich weniger Menschen mit Masken, größere Gruppen und Umarmungen, Nähe. Ich glaube, die Frage der Schulöffnung ist auch ein entscheidender Indikator für die Menschen, wie die Pandemielage gerade ist.
Nach sieben Schultagen hatten wir das erste Kind mit Corona-Verdacht. Das Kind blieb zu Hause, Mitschüler*innen und Lehrer*innen gingen weiter zur Schule – es tragen ja jetzt alle Masken und halten Abstand. Niemand geht in Quarantäne oder Isolation.
Wenn das Personal an Schulen dann bald auch noch geimpft ist, dann gibt es keine Gründe mehr zur Vorsicht, vermute ich mal.
Am 24. Februar wurde die Impfverordnung geändert, ab sofort können Menschen geimpft werden, „die in Kinderbetreuungseinrichtungen, in der Kindertagespflege und an Grundschulen tätig sind“ (bundesweit).
Ja gut, aber nicht in Berlin. Hier werden zuerst Erzieher*innen und Lehrer*innen an Förderschulen geimpft (zurecht, diese Gruppen sind am meisten gefährdet). Am 9. März, hörte ich im rbb von der ersten geimpften Lehrerin (Förderschule). In dem Tempo kann ich auf meine Impfung noch lange warten. Währenddessen waren in der Woche davor fast alle Termine in Tegel (AstraZeneca) ungenutzt. Und ich unterrichte jetzt in der 4. Woche in Präsenz.
25. Februar: Eine überraschende Entscheidung der Politik: In diesem Jahr dürfen allein Eltern entscheiden, ob ihr Kind das Schuljahr wiederholen soll. Normalerweise wiederholen Kinder nur, wenn das die Lehrkraft empfiehlt und nach Beratungsgesprächen. Das kann zu einem Chaos bei den Schüler*innenzahlen und Klassenstärken im nächsten Schuljahr führen.
Am selben Tag wurden zwei Kolleginnen meiner Schule geschult, sodass sie Schnelltest durchführen können. Wir hatten eigentlich drei Freiwillige, aber es durften nur zwei zur Schulung gehen.
Seit 1. März können wir – das Personal der Schule – uns in der Turnhalle testen lassen.
Auswirkung der Schnelltests:
„Ich nehme mal meine Maske ab, ich hatte heute Morgen einen Schnelltest und der war negativ.“
Ja…
MÄRZ 2021
7-Tage-Inzidenz Berlin 66
Bei einer BpP-Sitzung (online) erinnerten wir uns an unsere Sitzung vor einem Jahr, bei dem der Polizeihauptkommissar dabei war. Vom Vorsitzenden erfuhr ich, dass damals während unseres Treffens Sitzungen in Präsenz verboten wurden und wir tatsächlich die letzte Gruppe waren, die im Rathaus tagte.
Seit 9. März kommen Gruppe A und Gruppe B in unserer Schule im Wochenwechsel.
Jetzt gerade ist Gruppe A eine Woche zu Hause und macht „LzH“ – also ich vermute, dass es so heißt, dann „schulisch angeleitetes Lernen zu Hause“ ist es nicht mehr. Während ich in der Schule unterrichte, kann und soll ich keinen Kontakt zu der anderen Gruppe haben. Das übersteigt mein Deputat um ein Vielfaches.
Ich fragte gestern, was die Kinder der Gruppe B so in der Woche zu Hause gemacht haben. Antworten: verreisen, Geburtstagsfeiern, Treffen mit anderen Kinder der Gruppe B. Supi.
Die Klassen 4 bis 6 sind seit 9. März auch in der Schule, in halben Klassenstärken. Somit sind alle Grundschüler*innen zurückgekehrt.
Die Kinder freuen sich, dass sie wieder zur Schule dürfen. Die Masken rutschen ständig, das mit dem Abstand klappt nicht. Auch das Personal läuft ohne Masken herum: Lehrer*innen, Erzieher*innen, Putz- und Küchenkräfte, Bauarbeiter. Im Lehrerzimmer wird kaum gelüftet, in der Küche gemeinsam gegessen, Umarmungen ohne Masken. Es bleibt also spannend.
Am 10. März meldete die Schulleitung alle Mitarbeiter*innen melden, die für eine Corona-Impfung in Frage kommen. Das sind in unserer Schule wohl alle, außer Putzkräfte (die sind extern eingestellt). Dazu gehören neben Lehrer*innen und Erzieher*innen auch Sekretärinnen, Hausmeister und Küchenpersonal.
Die Briefe mit Impfeinladungen (nicht Termine) kommen über die Schule. Mal sehen, wann wir sie erhalten.
Seit gestern, 15. März ist es Pflicht eine medizinische Maske, OP- oder FFP2-Maske, in der Schule zu tragen. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie.
Für Schüler*innen wurden keine Masken zur Verfügung gestellt. Es gibt lediglich eine Reserve an OP-Masken (in Erwachsenengröße) im Sekretariat – falls ein Kind ohne Maske zur Schule kommt.
Ich als Lehrerin habe 20 OP- und zwei PPF2-Masken von der Schule erhalten.
Eilmeldung am 15. März: Deutschland stoppt das Impfen mit AstraZeneca. Okay, das wird also nichts mit der Impfung in absehbarer Zeit.
Einige Ärzte fordern Schulen sofort zu schließen, denn sonst drohe eine dramatische 3. Welle. Währenddessen wurden Schulen in NRW mit Inzidenzen über 100, teilweise über 150 geöffnet.
Läuft.
Was werden die restlichen Monate des Jahres 2021 bringen?
Wird es eine 3. Welle geben? Wie stark wird sie sein?
Werden wir das nächste Schuljahr im Regelbetrieb starten?
Wie viele Kinder werden das Schuljahr wiederholen? Wie werden die Klassenstärken sein?
Wie werden sich die Schulschließungen auswirken? Welche Änderungen im Lernen und Verhalten werden wir bei den Kindern beobachten?
Wann kommen die Kolleg*innen mit Risikofaktoren aus dem Homeoffice zurück?
Wird sich der Lehrermangel in Berlin verschärfen?
Werden wir Lehrer*innen mehr Unterrichtsstunden geben müssen?
Werden Ferienzeiten verändert?
Wann wird es erste Ausflüge und Klassenfahrten gaben?
PS.: Ich möchte mich nicht über meine „schwierige Lage“ beschweren. Durch meinen Beruf war ich in der Pandemie abgesichert und bekam mein reguläres Gehalt. Eine Zeit lang konnte ich Homeoffice machen und geschützt zu Hause bleiben. Die Rückschau soll einfach die Betrachtung der Pandemie aus der Sicht einer Berliner Lehrerin sein.